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Bei Infrastrukturprojekten ist alles groß: das Budget, der Zeitplan, der Umfang und vor allem das Risiko. Bei der Planung für einen neuen Eisenbahntunnel in der Nähe der norwegischen Stadt Bergen setzte das beratende Architektur- und Planungsbüro Norconsult neueste Technologien ein. Dadurch wurde ein großes Risiko bei einer wichtigen, aber lästigen Planungsanforderung, der Signalanlage, deutlich kleiner. Zur Vermeidung kostspieliger Bauverzögerungen aufgrund mangelhafter Beschilderung und Signalanlagen nutzte Norconsult bei der Infrastrukturplanung 3D-Modellierung und Virtual Reality, um mögliche Konstruktionsprobleme bereits im Vorfeld auszumachen. Die hierdurch entstandene interaktive Umgebung, die an Computerspiele erinnert, setzt neue Maßstäbe für Effizienz bei der Bewertung, Prüfung, Optimierung und Genehmigung von Entwürfen.
Die Anfänge von Norconsult reichen zurück bis ins Jahr 1929. Heute ist es eines der größten branchenübergreifenden technischen Beratungsunternehmen in Norwegen. Seine Fachkenntnisse setzt das Unternehmen für den Entwurf und den Bau von Flughäfen, Veranstaltungsstätten, Ölfeldern, Straßen, Krankenhäusern, Dämmen, Brücken, Bahnstrecken und Tunnels ein, um nur einige der 20.000 Projekte aus dem umfangreichen Portfolio von Norconsult zu nennen.
Das Unternehmen beschäftigt fast 3.300 Mitarbeiter an seinem Firmensitz Sandvika in der Nähe der norwegischen Hauptstadt Oslo und in 88 Büros auf der ganzen Welt. Obwohl Größe eigentlich ein Vorteil ist, kann sie auch zum Nachteil werden: Je größer ein Unternehmen, desto schwerfälliger wird es. Um sich den Geist einer viel kleineren, agileren Firma zu erhalten, hat Norconsult unter dem Namen „Bleeding Edge“ ein internes Team ins Leben gerufen. „Wir sind 30 bis 40 der innovativsten Mitarbeiter und treiben die technologische Entwicklung voran, um unsere Arbeitsabläufe effizienter zu gestalten und unseren Kunden ein besseres Produkt zu bieten“, erklärt Thomas Angeltveit, ein Tiefbauingenieur und BIM-Koordinator, der sich für den Einsatz der 3D-Modellierung und -Technologie in der erfolgreichen Abteilung Verkehrswesen bei Norconsult stark macht. „Wir wollen die besten Berater sein, die es gibt, und nutzen dazu die neueste Technologie.”
Die sogenannte Bergensbanen oder Bergen-Linie zwischen Oslo und Bergen schlängelt sich über 500 Kilometer durch die atemberaubende nordische Landschaft. Aber sie ist nicht nur eine der malerischsten Bahnstrecken Europas – als Verbindung zwischen den beiden größten Städten Norwegens ist sie auch wirtschaftlich von herausragender Bedeutung. Schneller, einfacher und sicherer Zugverkehr ist überaus wichtig.
Der letzte Streckenabschnitt zwischen Arna und Bergen führt durch den Ulriken-Tunnel, einen 7,8 Kilometer langen Tunnel unter dem Berg Ulriken. Seit seinem Bau im Jahr 1964 ist dies der meistbefahrene einspurige Eisenbahntunnel in Nordeuropa – und seit Jahren auch ein riesiger Engpass. „Die Kapazität des bestehenden Tunnels ist nicht ausreichend für die Zahl der Züge, die zur Befriedigung der Nachfrage nach Passagier- und Frachtbeförderung erforderlich wären“, erläutert Angeltveit. 2010 begann Norconsult gemeinsam mit der norwegischen Staatsbahn Bane NOR mit der Arbeit an einem Projekt zur Kapazitätsverdoppelung durch den Bau eines zweiten Tunnels parallel zum ersten Ulriken-Tunnel.
Die Fertigstellung ist für 2022 geplant. Für das Projekt, das eine große Herausforderung für die Baufirmen darstellt, muss eine neue Tunnelröhre unter dem Berg Ulriken gebohrt werden. Gleichzeitig müssen der bestehende Tunnel und die anliegenden Bahnhöfe modernisiert werden – und das alles ohne Beeinträchtigung des laufenden Betriebs.
Um den neuen Ulriken-Tunnel ohne Störung des Bahnverkehrs zu bauen, müsste Bane NOR eine 1.800 Tonnen schwere Tunnelbohrmaschine (TBM) einsetzen, die sich in 18 Monaten durch das harte Felsgestein des Berges arbeiten würde. Dies ist das erste Mal, dass eine Tunnelbohrmaschine beim Bau eines Bahntunnels in Norwegen eingesetzt wird. Sonst setzt man hier in der Regel auf Sprengung. Es würde 18 Monate dauern, sich durch den harten Fels unter dem Berg Ulriken zu graben.
Bei einem Infrastrukturprojekt dieser Größenordnung gibt es nicht nur technische Herausforderungen, es treten auch Hindernisse im Verwaltungsbereich auf. Zu den größten Hürden zählen die behördlichen Genehmigungen für die Beschilderung und die Signalanlagen, die für die Sicherheit des Bahnverkehrs äußerst wichtig sind. „Das Schwierigste bei Eisenbahnprojekten ist es, die Genehmigung für die Signalanlagen zu bekommen“, sagt Angeltveit. „Das liegt daran, dass dies das Herzstück der Bahn ist. Es steuert alles. Wenn ein Lokführer ein Signal nicht sehen kann und dann zu weit fährt oder nicht anhält, kommt das ganze System zum Stillstand.”
Um die komplexen Anforderungen bei der Planung und beim Bau des Ulriken-Tunnelprojekts in Angriff zu nehmen, nutzte Norconsult BIM (Building Information Modeling) und konnte so die verschiedenen Gewerke effizienter koordinieren. „Jetzt, da wir in einem so rasanten Tempo neue Technologien entwickeln, ist BIM ein wichtiger Erfolgsfaktor bei unseren Projekten“, so Angeltveit. Die BIM-Modelle für das Tunnelprojekt und die Modernisierung der Bahnhöfe wurden mit AutoCAD, Civil 3D und Revit sowie Navisworks für die Zusammenarbeit mit den Bauteams erstellt.
Für die administrativen Herausforderungen rund um die Signalanlagen war ein anderer Ansatz erforderlich. Die notwendigen Genehmigungen sind so schwer zu bekommen, weil die Signale üblicherweise Jahre im Voraus installiert werden, damit die Bahnbetreiber sie testen können. Es passieren also häufig Fehler. Angeltveit fragte sich, ob die Genehmigungen einfacher zu bekommen wären, wenn die Bahnbetreiber die Signale früher testen könnten.
Um das herauszufinden, kam er auf die Idee, die BIM-Modelle mit Virtual Reality zu kombinieren und so eine Spieleumgebung zu schaffen, in der die Betreiber die zukünftigen Bahnstrecken noch vor dem Bau „abfahren“ könnten. „Wir nahmen Modelle für alle Gewerke – dieselben Modelle, die wir an die Baufirmen ausgegeben hatten – und packten sie in eine Spieleumgebung“, erklärt Angeltveit. Das Team animierte die 3D-Modelle mit 3ds Max und reicherte sie mit Hilfe von ReCap mit Laserscans von echten Daten an, z. B. mit der Innenansicht eines Führerstands.
In der Spieleumgebung fuhren die Lokführer auf den virtuellen Schienen unter der Aufsicht von Tiefbauingenieuren, die auf dieser Grundlage die Standorte von Schildern und Signalen beurteilten. In der virtuellen Umgebung „fühlt es sich an, als wäre man wirklich dort“, beschreibt Angeltveit. „Das ist ein riesiger Vorteil, wenn man versucht, die Genehmigung für etwas zu bekommen, das noch gar nicht gebaut ist.“ In einem iterativen Planungsprozess verbesserten und optimierten die Ingenieure die Signalanlagen. „Durch die Arbeit mit den Lokführern lernten wir, ihre Gedankengänge besser zu verstehen“, fährt er fort. „Wir konnten von ihrer Erfahrung beim Führen eines echten Zugs profitieren.“
Ein zusätzlicher Vorteil für Bane NOR ist die Möglichkeit, das Spiel als optische Hilfe für Rettungskräfte zu nutzen. Im „Drohnenmodus“ können die Mitarbeiter aus der Perspektive eines unbemannten Flugkörpers durch das Projekt navigieren und sich mit den Rettungswegen vertraut machen oder Notfallszenarien simulieren. Mit ähnlich wirklichkeitsnahen Umgebungen könnten Projektteams Betriebs- und Wartungsanforderungen besser vorhersehen und so Gebäude und Infrastruktur entwerfen, die für die Endanwender optimiert sind. „Hier gibt es zahlreiche Möglichkeiten zu erkunden“, sagt Angeltveit.
Der Baus des Tunnels schreitet voran und das Abschlussdatum 2022 rückt näher, als die Tunnelbohrmaschine im August 2017 ihre Arbeit vollbracht hat. Wenn die neue zweigleisige Bahnstrecke fertiggestellt ist, können mehr Züge zwischen Arna und Bergen mehr Personen und Fracht mit höherer Geschwindigkeit und in kürzeren Zeitabständen befördern.
In der Zwischenzeit hat die Verbindung von BIM, Virtual Reality und Computerspiel für Norconsult bereits Früchte getragen. 2017 belegte das Unternehmen beim Autodesk-Wettbewerb AEC Excellence Awards (Englisch) den dritten Platz in der Kategorie Infrastruktur. Laut Angeltveit brachte die Erfahrung mit dem Spiel in der virtuellen Realität eine Reihe von Vorteilen, wie z. B. ein strafferes Prüfverfahren, das die übliche Genehmigungsdauer um Jahre verkürzt, bessere Einbindung der Projektbeteiligten, da auch technisch nicht versierte Nutzer sich das Projekt bildlich vorstellen können, und schließlich geringere Kosten, da Fehler bereits vor der Bauausführung ausgemerzt werden können und nicht im Nachhinein behoben werden müssen.
Der vielleicht wichtigste Vorteil ist der Tunnel selbst, der Dank des Spiels noch Spitzenleistungen liefern wird, lange nachdem die Baufirmen abgezogen sind. „Letztendlich helfen wir unseren Kunden, bessere und sicherere Tunnel und Bahnhöfe abzuliefern als jemals zuvor“, berichtet Angeltveit.
Seit dem ersten Erfolg beim Ulriken-Tunnel setzt Norconsult Virtual Reality standardmäßig bei allen Eisenbahnprojekten ein, um die Planung der Signalanlagen zu unterstützen und das Genehmigungsverfahren zu beschleunigen. Außerdem prüft das Unternehmen weitere Anwendungsmöglichkeiten. Bei einem Stadtbahnprojekt nutzt Norconsult z. B. eine Spieleanwendung mit Virtual Reality, um Feedback von den Straßenbahnfahrern zu erhalten und die Planung der Fahrspuren für Fahrräder und Rettungsfahrzeuge zu optimieren. Inzwischen nutzen Kunden die Möglichkeit zum Eintauchen in die Umgebung für Präsentationen bei der Geschäftsleitung und Gemeindevertretern, deren wertvolle Unterstützung mit Hilfe der virtuellen Visualisierungen wesentlich leichter zu gewinnen ist.
Langfristig ist es durchaus vorstellbar, dass der Einsatz von Virtual Reality und Gamification ein neues Zeitalter der proaktiven anstelle der reaktiven Planung einläutet. „Für uns war das bahnbrechend“, resümiert Angeltveit. „Die interaktive Virtual Reality-Erfahrung mit unseren BIM-Modellen revolutioniert in der Tat die Lage im traditionell konservativen Baugewerbe.“
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