Norconsults Sotra-Brücke: Erste komplett digital geplante Hängebrücke

Mit der weltweit ersten vollständig digital geplanten Hängebrücke zwischen Bergen und Sotra setzt die Firma Norconsult neue Maßstäbe.


Ein Symbol für den Sprung in die Zukunft der digitalen Infrastruktur: Die neue Sotra-Brücke wird sich majestätisch über die Fjorde Norwegens spannen.

Credit: Norconsult.

Ein Rendering zeigt eine Hängebrücke, die sich bei Sonnenuntergang über ein ruhiges Gewässer spannt, mit einer Stadt und sanften Hügeln auf beiden Seiten.

Mark De Wolf

15. September 2025

Min. Lesedauer
  • Mit 900 Metern verbindet die weltweit erste vollständig digital geplante Hängebrücke die norwegische Insel Sotra mit der Stadt Bergen

  • Die Planung der neuen Sotra-Brücke war innerhalb von zwei Jahren abgeschlossen und brachte das Fachwissen von Experten aus drei Kontinenten zusammen

  • Um dieses ingenieurtechnische Meisterwerk zu realisieren, setzte das internationale Team auf digitale Lösungen wie Autodesk Revit, Civil 3D, Inventor, Navisworks, Autodesk Platform Services und Autodesk Construction Cloud

Firmen aus den Branchen Architektur, Ingenieurwesen, Bauwesen und Gebäudebetrieb wurden in den letzten Jahren durch den Klimawandel, eine Pandemie und geopolitische Unruhen sowie wirtschaftliche Auf- und Abschwünge auf die Probe gestellt. Die besten von ihnen haben diese Herausforderungen souverän gemeistert – teils mithilfe technologischer Lösung, teils dank eigenem Fachwissen und Kreativität. In einem Sektor, in dem sich mehr als 64 % aller Unternehmen als digital reif einschätzen, profitierte die Planungs- und Baubranche von der Kombination von Cloud-Plattformen mit Innovation und Anpassungsfähigkeit.

Der Bau der neuen Sotra-Hängebrücke in Norwegen gilt als Paradebeispiel für den optimalen Einsatz eines datengesteuerten Ansatzes in der Planungs- und Baubranche. Das Vorhaben wurde 2024 mit dem Autodesk Design & Make Award für die „Most Innovative Use of Autodesk Platform Services“ ausgezeichnet. Die Planung, die Konstruktion und das Projektmanagement für die Brücke, die sich derzeit im Bau befindet, wurden vom norwegischen Architektur- und Ingenieurbüro Norconsult vollständig digital umgesetzt – ganz ohne herkömmliche Papierzeichnungen. Durch den Einsatz einer Cloud-Plattform für die Planung und Fertigung konnten große Datenmengen für die 3D-Modellierung, das Berichtswesen, die Kostenkontrolle und das Facility Management effizient erfasst und vernetzt werden. APIs ermöglichten die Entwicklung benutzerdefinierter End-to-End-Arbeitsabläufe sowie die Analyse und Optimierung digitaler Entwürfe.

Digitale Entwürfe für bauphysikalische Spannweiten

Ein frontales perspektivisches Rendering einer Hängebrücke zeigt Fahrzeuge, die über die Brücke fahren, sowie Industriegebäude, die das Ufer säumen.
Realgetreu gerendert: Der digitale Entwurf der neuen Sotra-Brücke zeigt, wie die heute möglichen präzisen virtuellen Modellierungen die Entwicklung physischer Infrastrukturen unterstützen können. Credit: Norconsult.

Die neue Sotra-Brücke ist ein wichtiger Bestandteil des norwegischen Straßenbauprojekts 555 Sotrasambandet. Mit einem Budget von 19,8 Milliarden NOK (1,7 Milliarden Euro) ist diese öffentlich-private Partnerschaftsinitiative aktuell das größte Infrastrukturvorhaben Europas nach Vertragswert.

Nach der geplanten Eröffnung im Sommer 2027 wird sich die knapp 900 Meter lange Hängebrücke eindrucksvoll über den Fjord erheben, der Sotra von den übrigen Inseln des norwegischen Atlantik-Archipels trennt. Die Pylonen erreichen sogar eine Höhe von 145 Meter über dem Meeresspiegel. Die vierspurige Brücke verbindet Sotra mit einer 9,4 Kilometer langen Autobahn nach Bergen.

Das Projekt wird vom Konsortium Sotra Link durchgeführt, wobei Norconsult für die Planung verantwortlich zeichnet und die Partner Webuild, FCC Construcción und SK Ecoplant für die Bauausführung zuständig sind.

Ein entscheidender Aspekt für den Ausschreibungserfolg war es, nachzuweisen, dass durch digitale Prozesse Risiken minimiert und Baufortschritte für Auftraggeber transparenter gemacht werden können. „Die Bauträger erwarten eine Brücke, die nach Best-Practice-Standards gebaut und im bestmöglichen Zustand übergeben wird“, so Vegard Gavel-Solberg, Bereichsleiter für Brückenbau bei Norconsult. „Digitale Modelle leisten einen erheblichen Beitrag zur Fehlervermeidung während der Bauphase, indem sie für ein besseres Verständnis der einzelnen Auftragnehmenden sowohl für die eigenen Aufgaben als auch für das Gesamtbild sorgen.“

Angesichts des großen Budgets für das staatlich geförderte Projekt und des guten Rufs Norwegens für umweltfreundliches Bauen bestand kein Zweifel daran, dass die Brückenplanung und -bau eine hohe Qualität aufweisen würden. Doch die vielseitigen Herausforderungen des Standorts sorgten dafür, dass das Projekt kein einfaches Unterfangen wurde. „Eine der Herausforderungen ist, dass Norwegen ein schneereiches Land ist“, so Gavel-Solberg. „Und wir erleben oft extreme Wetterbedingungen. Wir haben viel Schnee, viel Regen und sehr spezielle Geländebedingungen. Das hat Auswirkungen auf die Art und Weise, wie wir in Norwegen Brücken planen müssen, damit sie sich über die gesamte Lebensdauer wirtschaftlich optimal lohnen.“

Datengestützte Kostenkontrolle

Ein digitaler Querschnitt einer Hängebrücke veranschaulicht strukturelle Komponenten, Gehwege und mechanische Systeme.
Ein in Autodesk Navisworks erstelltes Modell zeigt einen Ausschnitt der neuen Sotra-Brücke. Credit: Norconsult.

Norconsult setzte auf Autodesk Construction Cloud (ACC), eine Software, die Tools für die Kommunikation, das Projektmanagement und die Kostenkontrolle kombiniert, um sicherzustellen, dass das komplexe Projekt frist- und budgetgerecht abgeschlossen wurde.

Die nahtlose Zusammenarbeit mit einem Konsortium von Partnern erforderte eine fast hundertprozentig papierlose Arbeitsweise. Norconsult konnte nach eigenen Angaben die Abhängigkeit von manuellen Bauplänen bei der neuen Sotra-Brücke im Vergleich zu ähnlichen Brückenprojekten in der Vergangenheit um 99,5 % reduzieren. „Brücken sind geometrisch sehr komplexe Strukturen“, erklärt Gavel-Solberg. „Diese Komplexität lässt sich schwer in ein paar vereinfachten Schnitten auf einer physischen Zeichnung erfassen. An der Planung, dem Bau und der Instandhaltung einer Brücke sind viele Menschen beteiligt, und mit einem 3D-Modell haben alle die Möglichkeit, das Gesamtbild zu betrachten. Wie wirkt sich jedes kleine Teil auf andere Teile des Projekts aus? Das kann ein 3D-Modell besonders gut zeigen.“

Mithilfe von Autodesk Platform Services APIs konnte Norconsult Arbeitsabläufe vereinfachen und vernetzen, um diese aufwendige digitale Planung zu realisieren. Durch APIs – einschließlich der APIs für die Autodesk-Softwares Data Management, Model Derivative, Viewer, ACC und Design Automation – verfügte das Team über die nötige Flexibilität, um die einzigartigen Anforderungen der Arbeitsabläufe zu erfüllen und eine große Menge an Modellen und Dateien ohne Einbußen bei der Datenqualität zusammenzuführen.

„Wir haben die APIs genutzt, um die Daten zu validieren und sicherzustellen, dass sie faktisch korrekt und richtig formatiert sind sowie den passenden Datentyp aufweisen. Die Verwendung von APIs hat den Datenabruf und -austausch erheblich erleichtert und uns gut strukturierten Daten zur Weiterverarbeitung geliefert“, berichtet Thomas Ostgulen, BIM-Projektmanager bei Norconsult.

Die dadurch gewonnenen Zeit-, Arbeits- und Komplexitätsersparnisse waren beachtlich: Das Team konnte die Anzahl der Zeichnungen von 4.000 beim letzten vergleichbaren Projekt des Unternehmens auf nur 15 für die neue Hängebrücke reduzieren. Gleichzeitig wurden 60 Millionen Datenpunkte in 211 verschiedenen Modellen mit über einer Million einzelnen Objekten erfasst und gespeichert. Durch die Automatisierung konnte außerdem die Zahl der sich wiederholenden Projektaufgaben deutlich reduziert und die Prozesse rund um Problemverfolgung und RFIs sowie Einreichungen vereinfacht werden.

Der norwegische Staat fordert einen datengesteuerten Ansatz

Die Architektur spielte unter den verwandten Bereichen des Ingenieurwesens, des Bauwesens und des Gebäudebetriebs schon immer eine Vorreiterrolle bei der Digitalisierung. Hinzu kam in diesem Fall, dass die norwegischen Vorschriften für die öffentliche Auftragsvergabe die Einreichung digitaler Unterlagen festlegen. „Die zuständigen Behörden forderten für jede Phase des Sotra-Brücke-Projekts eine Lieferung über openBIM“, so Ostgulen.

„Von der Planung über die Übergabe bis hin zu Betrieb und Wartung drängen uns die Behörden zu einer datengesteuerten Arbeitsweise“, fährt der BIM-Beauftragte fort. „Durch die Darstellung aller Daten anhand von Modellen statt Zeichnungen konnte unser Auftraggeber das enorme Einspar- und Effizienzpotenzial wahrnehmen. Da 80 % der Lebenszykluskosten eines Gebäudes auf das Facility Management entfallen, ist der Bau nur die Spitze des Eisbergs. Ich denke, das ist der Grund, warum Bauträger diesen Weg wählen.“

Die Brücke müsse mindestens 100 Jahre lang halten, so Ostgulen weiter: „Deshalb müssen wir Lösungen finden, die für das kommende Jahrhundert zukunftssicher sind.“

Nachhaltigkeit von Anfang an integriert

Ein Rendering zeigt eine Luftaufnahme einer Hängebrücke, die zwei Gebiete über eine Wasserstraße verbindet: Autos fahren in beide Richtungen und im Vordergrund sind Wohnhäuser zu sehen.
Ein Symbol für nachhaltige Technik: Die neue Sotra-Brücke verkörpert Norwegens Engagement für umweltfreundliche Baupraktiken. Credit: Norconsult.

Der digitale Ansatz des Norconsult-Teams trug auch dazu bei, die Nachhaltigkeitsziele des Auftraggebers zu erfüllen. Bei öffentlich geförderten Projekten in Norwegen wird  Umweltbewusstsein standardmäßig großgeschrieben. Wenn ein Angebot nicht von der Planung über den Bau bis hin zum Gebäudemanagement vollständig nachhaltig ist, kann man in der Regel davon ausgehen, dass die Gesamtkosten um etwa ein Drittel sinken müssen, um den Zuschlag zu erhalten.

Daher lohnt es sich durchaus, von Anfang an grüne Ziele anzustreben. Beim neuen Sotra-Brücke-Projekt konnten die Architekten und Ingenieure von Norconsult mithilfe digitaler Design-Tools wie etwa Autodesk Revit bessere Planungs- und Materialentscheidungen treffen. Diese Tools ermöglichten auch die Erstellung eines Verhaltenssimulationsmodells, um die Leistungsfähigkeit unter extremen Wetterbedingungen sowie die Reduzierung des Kohlenstoffausstoßes während der Bauarbeiten und der Herstellung der Materialien – der sogenannten „verbauten Emissionen“ – sicherzustellen.

Das kann schwierig sein, erklärt Terje Fjellby, ein BIM-Berater bei Norconsult: „Wenn man die langen Vorlaufzeiten mancher Infrastrukturprojekte bedenkt, wird der Zeitraum vom Planungsbeginn bis zum Baubeginn zum komplizierenden Faktor. Einige der Projekte, an denen wir jetzt arbeiten, wurden lange vor dem Pariser Abkommen genehmigt. Wir müssen jetzt Entscheidungen anpassen, die gefällt wurden, bevor wir wussten, wie stark der Klimawandel die Planung beeinflussen würde. Das ist eine Herausforderung, bei der uns digitale Tools helfen. Wir können die Daten laden, zu den frühen Projektphasen zurückkehren und die Situation neu überdenken: Ist es machbar, diese Straße auf diese Weise zu bauen? Müssen wir sie verkleinern, die Geschwindigkeit reduzieren oder die Sichtachsen neu bewerten? Das ist der nächste Schritt.“

Die Flexibilität, Betriebs- oder Wartungsziele anzupassen, gilt auch für die Phase nach der Übergabe, in der die Verantwortlichen der neuen Sotra-Brücke die in das Bauwerk integrierten Sensoren nutzen können, um einen digitalen Zwilling zu betreiben und den Verkehrsfluss, die strukturellen Belastungen, die Vibrationen, das Wetter, den Energieverbrauch oder andere für die lokale Ökologie relevante Aspekte in Echtzeit zu bewerten.

Öffentliche Projekte bringen besondere Herausforderungen und Sachzwänge mit sich. Die Nutzung von APIs und Cloud-Plattformen für die digitalisierte Bereitstellung kann die Planung und den Bau von Infrastrukturen agiler gestalten und gleichzeitig die Datenharmonisierung und Qualitätssicherung vereinfachen.

„Für Menschen ist es schlichtweg unmöglich, bei 60 Millionen Datenpunkten eine angemessene Qualitätssicherung und -kontrolle durchzuführen“, fügt Ostgulen hinzu. „Da wäre das Scheitern vorprogrammiert. Automatisierte Lösungen sind dafür absolut unverzichtbar.“

Mark De Wolf

About Mark De Wolf

Mark de Wolf ist freier Journalist und preisgekrönter Copywriter, der sich auf Technologie-Themen spezialisiert hat. Er wurde im kanadischen Toronto geboren, beschreibt sich selbst als „Made in London“ und lebt heute in Zürich. Sie erreichen ihn online unter markdewolf.com.

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